Was tröstet

Trost, das ist jene unverfügbare und unfassliche Kraft, die sowohl die Trostlosigkeit überwindet, wie die Untröstlichen erfüllt.

Ein Mensch mit Erfahrung

Erfahrung ist im Leben das, was von den Erlebnissen erinnert und aufgehoben wird.

Kundschafter und Auskundschafter

Das Maß der Spionage, die ein Auslandsgeheimdienst betreibt, gibt präzise Auskunft darüber, dass trotz Globalisierung der Nationalismus ungebrochen ist. Er versteckt seine Stärke zwar, zeigt sie allerdings keineswegs schamhaft, sobald ein Agent aufgeflogen ist.  Immer noch gilt, dass der Vorteil, der mit unlauteren Mitteln errungen wird, einen größeren Abstand zum Gegner verspricht. 

Die Maske Harmlosigkeit

Eine Partei, die ihre öffentlichen Auftritte jenseits der eigenen Klientel als harmlos und sympathisch inszeniert, erregt Verdacht. Die Fassadentechnik Unschuld im Politischen lässt zuverlässig schließen, dass die wahren Handlungsantriebe verborgen werden sollen. Nichts im Gesellschaftsbetrieb ist harmlos, unschuldig, sympathisch. Von dieser Art der Ansprache lässt sich nur der täuschen, der mit Schärfe und Härte, Verantwortungsbewusstsein oder Prinzipientreue, nicht zuletzt dem Gegenteil: mit Kunstkniffen des Kompromisses und der Kompromittierung fremdelt. Die Gewalttätigen haben sich schon immer der Harmoniebedürftigkeit vieler bedient, um ihre Interessen am Ende umso erbarmungsloser durchzusetzen.

Wie man ein Publikum zähmt

Von den Meistern unter den Dirigenten heben sich jene wenigen ab, denen wie selbstverständlich gelingt, was sich von allein nicht ergibt: neben der musikalischen Gestaltungshoheit auch die absolute Macht über das Auditorium auszuüben, das ihm auf den kleinsten Fingerzeig hin gehorcht. Das ist eine eigene Faszination, die über den Zauber hinausgeht, der durch die dramaturgisch präzise Aufführung eines Werks sich einzustellen vermag. Das Publikum wird gezähmt durch den Willen dessen, der allein dem Orchesterklang sich unterwirft, den er gerade noch selber evoziert hat, und ihm Raum schafft, in den durch Applaus erst eintreten darf, wen der Maestro nach dem Ende des Stücks für den Bruchteil eines spannungsgeladenen Augenblicks durch Sinken der Arme auffordert. So verliert das Klatschen den Charakter einer triebhaften befreienden Entladung und bekommt die fast selber musikalische Eigenschaft, der Musik angemessen zu entsprechen.

Gesten der Gefälligkeit

Selten wird so schamlos gelogen wie in jenen Gutachten oder Referenzschreiben, die der Förderung von Karrieren beigeordnet sind. Was als Versprechen daherkommt, fachlich und unabhängig Auskunft zu geben, ein subjektives, aber belastbares Urteil zu formulieren, unterwirft sich gern glattzüngig dem Zweck, den es erfüllen soll, scheut keinen Gefälligkeitsgestus, keine Wahrheitsbeugung. Bekäme man den Kollegen, der in den Empfehlungsbriefen wärmstens vorgestellt wird, müssten die, die über seine Anstellung befinden oder auf ihn warten, allesamt um ihre Posten fürchten. In stillschweigender Komplizenschaft mit dem Absender der Fürsprache legen sie das Dokument aber zu jenen Akten, die nur dann hervorgezogen werden, wenn später das Maß der Enttäuschung begründet werden soll, das angesichts höchster Erwartungen überraschend ein Ende der Arbeitsbeziehung erzwingt.

Freiheitsbewusstsein

Es gehört zur Freiheit und dem Selbstbewusstsein eines Unternehmers, dass er mit Stolz behaupten darf, dass sämtliche seiner Anstrengungen, seiner Erfolge und seiner Niederlagen selbstgewählt sind.

Regierungsfähig

Am Ende ist es immer die Fähigkeit zu vertrauen, die darüber entscheidet, ob ein Gemeinwesen aufblüht oder sich zu Grunde richtet. 

Grenzenloses Kapital

Es stimmt schon, dass das Geld alle nationalen Schranken überwindet. Nur dass es innerhalb einer Nation die Schranken zwischen den Menschen wieder setzt. Je entfesselter das Kapital sich bewegen kann, desto mehr nimmt es jene gefangen, die sich von ihm abhängig machen.

Selbstbewusstsein und Selbstverständlichkeit

Was in dieser Gesellschaft fehlt, ist weniger das Selbstbewusstsein, als vielmehr die Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander.

Sesshafte Nomaden

Die Macht der Medien, von Fernsehen über Internet bis zum Film, nicht zuletzt des Videospiels, ist ihre Suggestionskraft, die den Zuschauer in eine Bewegung bringt, ohne dass er seinen Ort verlassen muss. Durch sie ist das Nomadische mit dem Sesshaften verschmolzen.

Nachbarschaftsgedanken

Der Ton wird zum Geräusch, die Melodie zum Lärm immer dann, wenn sie sich aufdrängt. Nichts appelliert an unsere Freiheit so feinfühlig wie der Hörsinn. Musik will gehört werden und bekommt erst durch die Entscheidung, ihr lauschen zu wollen, ihren bezaubernden Charakter. Es „hängt der Musik ein gewisser Mangel der Urbanität an, daß sie, vornehmlich nach Beschaffenheit ihrer Instrumente, ihren Einfluß weiter, als man ihn verlangt (auf die Nachbarschaft), ausbreitet und so sich gleichsam aufdringt, mithin der Freiheit anderer, außer der musikalischen Gesellschaft, Abbruch tut.“* So notiert es Kant, der in seinem Haus den Chor der Gefangenen erdulden musste, die zur moralischen Besserung in der nahegelegenen Zuchtanstalt gezwungen wurden, geistliche Lieder zu schmettern.

* Kant, Kritik der Urteilskraft, B 221

Kraftübertragung

Bei allem, was über deren Techniken zu sagen wäre, bedeutet Führung zunächst und vor allem die Fähigkeit, Kräfte zu organisieren, sie zu entfesseln, zu richten, zu bündeln. Unter denen, die das können, ragt hervor, wer zudem als Kraftquelle wirkt. Solche Menschen haben Autorität, wörtlich: Sie sind Urheber von Kräften, die andere sinnvoll und zielorientiert einsetzen.

Streicheleinheiten

Der Hypochonder ist weniger besorgt um seine Gesundheit, als dass er leidet an einem Mangel an Aufmerksamkeit.

Leseverstehen

Altes Hausmittel, neu erprobt: Schwierige Passagen muss man laut lesen. Die Vergegenständlichung des Gedankens, die in der Artikulation fassbar wird, erhöht die Wahrscheinlichkeit, das Gesagte zu verstehen. Alles kommt darauf an, einem Buch mit der ihm eigenen Geschwindigkeit zu begegnen. Jeder Text hat sein Tempo. Geduld und Hartnäckigkeit heißen die Tugenden der Lektüre.

Aus dem Hinterhalt

Für jeden, der in einer Organisation führt, gilt ein absolutes Verbot: Hinterhältigkeit. Sie erwächst stets aus der Verbindung von Feigheit und Aggressivität. Wer als Verantwortlicher so handelt, verliert seine Macht ohne Verzug

Sinneskonkurrenz

Die Art, wie Sinne ihre Reizbarkeit verarbeiten, kann sehr unterschiedlich ausfallen. So stört es erheblich, wenn im Ruheabteil der Bahn, dessen Zweck alle Mitreisenden offenkundig bestens verstanden haben, so dass sie die stillschweigenden Regeln einhalten, plötzlich ein Fahrgast eintritt und sein dampfendes Menü aus dem Schnellrestaurant auspackt. Die olfaktorische Qual kann das seltene Glückserlebnis ungehinderten Arbeitens mit einem Mal zunichte machen und irritiert mehr als ein Laut. Auch optische Beleidigungen können durch feinste Gerüche nicht aufgewogen werden, doch besser, als es umgekehrt der Fall wäre. Lärm wiederum mag die schönsten Orte grässlich erscheinen lassen. Die Phantasie hilft gelegentlich. Es ist leicht, sich Hässliches durch innere Bilder zu übermalen. Auch Geräusche lassen sich ausblenden. Wohingegen es fast unmöglich ist, sich an Gestank zu gewöhnen, der selbst dann noch präsent bleibt, wenn dessen Quelle längst verschwunden ist. Verblüffend ist, dass die Kombination von Mief, Krach und Dreck fast weniger befremdet, zumindest das Ärgernis nicht potenziert, als die Sinnesprovokationen es einzeln tun. Man könnte diese Verbindung fast schon stimmig nennen.

Antrieb

Nur wer sich selbst der härteste Gegner sein kann, bringt die Voraussetzung mit, sich zu Höchstleistungen selbst zu motivieren. Erfolg ist immer das Ergebnis aus der Überwindung eines Widerstands. Alles andere hieße Glück.

Krusten im Konstruktivismus

Ein Text aus dem Nachlass von Niklas Luhmann

„ … Im Anschluss an Linguistik und Kybernetik kann schließlich auch die Soziologie etwas dazu sagen. Ihre Analysen können zeigen, dass es kein Zufall ist, wenn sich in der modernen Gesellschaft Bedeutungen nur noch auf der Ebene des Beobachtens von Beobachtungen und des Beschreibens von Beschreibungen festsetzen können. Die moderne Gesellschaft hat alle natürlichen Vorrechte, alle privilegierten Positionen für richtige Beschreibungen der Welt aufgelöst. Entsprechend florieren Ideologien und Ideologiekritik, konstruktivistische Erkenntnistheorien, historischer und kultureller Relativismus; und die zusammenfassende Formel dafür ist eben, dass Stabilität nur gewonnen werden kann, wenn und soweit sie sich auf dieser Ebene des durchschauenden Beschreibens von Beschreibungen halten lässt.

Kein Wunder also, dass schließlich auch die Frauen (sei es von Männern, sei es von Frauen) beschrieben werden müssen als Wesen, die beobachten, wie sie beobachtet, und dann beschreiben, wie sie beschrieben werden. Und wenn es zutrifft, dass die Frauenbeschreibungen historisch vorwiegend von Männern angefertigt worden sind, lässt sich geradezu erwarten, dass diese Affektion mit Kybernetik zweiter Ordnung zuerst bei Frauen – beobachtet werden kann.

Geradezu zwanghaft erscheint dann auch die Epidemie sprachpolitischer Empfindlichkeiten. Sie ist, wie die neue, sozusagen postgrammatikalische Aufmerksamkeit für Sprache überhaupt, eine Konsequenz der Strukturen moderner Gesellschaft. Die Frauen können nichts dafür. Sie selbst sind das Opfer. Man muss ihnen helfen.

Frauen neigen nämlich zur Übertreibung, wie man in einer alten Tradition männlicher Beschreibungen sagen könnte. Wenn sie fromm sind, sind sie zu fromm. Wenn sie grausam sind, sind sie zu grausam. Wenn sie in Geschäften hart und rigide führen, gehen sie auch darin zu weit. Und wenn sie Sprachpolitik treiben, dann ohne hinreichende Rücksicht auf Sprache.

Fast muss man befürchten, dass sie demnächst die Unsinnin auf die Gipfelin treiben. Aber auch, wenn man derartige Vorahnungen beiseitelässt, gibt es genügend Missgriffe zu kritisieren. Am deutlichsten erscheint das Problem aus Gründen, die nur eine statistische Analyse klären könnte, an Worten, die mit Mi anfangen. „Ministerin“ ist zum Beispiel ein solcher Fehlgriff. Es handelt sich um ein lateinisches Wort, und Ministra steht als gut etablierte Fassung zur Verfügung. Aber auch „Mitgliederinnen“ (was man es zuweilen in Anreden wie „liebe Mitglieder und Mitgliederinnen“ schon hören kann) ist unerträglich. Was wäre der Singular? Und überhaupt: Mitglied ist, wie übrigens das Glied auch, sächlich. Es besteht also gar kein Anlass, eine Überschätzung des Männlichen abzuwehren. Wenn es dann doch geschieht, müssten die Männer schließlich verlangen, als Mitgliederer angesprochen zu werden.“*

* Das Deutsch der Geschlechter, Erstdruck: FAZ vom 30. September 2009, N 5. Wieder abgedruckt in: Antje Baumann / André Meininger (Hg.), Die Teufelin steckt im Detail. Zur Debatte um Gender und Sprache, Berlin, 227 – 229

Hat die Natur eine Stimme?

Das Lebensideal, das sich in der Formel eingeprägt hat, im Einklang mit der Natur zu existieren, scheint viel schlichter zu sein, als es die ökologischen Imperative vom Essverhalten über die Mondscheinernte bis zum Schlafrhythmus sich vorzustellen anbieten. Es geht zunächst einmal um akustische Wahrnehmungen, die Stimmen der Vögel, das Rauschen des Blätterwalds im lauen Abendwind, das Gurgeln eines auslaufenden Gebirgsbachs, knackende Äste, das Grollen herbfallenden Gerölls und, das in allem und vor allem jenseits von allem: die Stille. Nie ist Natur so stimmig wie in den glücklichen Momenten, in denen nicht einmal aus der Ferne ein technischer Laut zu vernehmen ist. Die Natur macht keine Geräusche. Sie klingt.

Die hohe Kunst des Kaufmännischen

Das unterscheidet den klassischen Kaufmann vom modernen Manager, dass dieser sein Handeln durch die Scheu vor dem Risiko einhegt, wohingegen jener sein Risikobewusstsein die Ungewissheit des Erfolgs so organisieren lässt, dass er Gefahren – zwar nicht meidet, aber – so weit reduziert, wie sie nicht beherrschbar sind. Die Kunst des Kaufmännischen erkennt das Wagnis als Wahrheit des ökonomischen Erfolgs und setzt ihm die Grenzen dort, wo es zum Abenteuer degeneriert ist.

Überreizt

Die Drogensucht der Ichschwachen: Erlebnishunger.

Die Langeweile von Prüfungen

Alles Korrekte ist langweilig, weil jeder Satz die Erwartung der vorhergehenden beflissen erfüllt. Der Schüler straft den Lehrer hart, indem er in seinen Hausarbeiten sich verbietet, meist gar nur sich nicht traut, anderes abzuliefern als die üblichen Antworten auf die gestellten, und nicht selten gestelzten, Themen. Es ist anstrengend, Gewohntes und Gewöhnliches zu lesen. Der Reiz des Falschen liegt in der Chance, in frappante Gedanken zu führen. Zwischen Blödsinn und Bemerkenswertem ist die Nähe größer als die Beziehung von Belang und Gründlichkeit.

Unabhängigkeitserklärung

Alle Ostergeschichten bilden in ihrer Gesamtheit eine einzige große Unabhängigkeitserklärung. Sie wollen dokumentieren, wie sehr ein Ereignis, die Auferstehung von den Toten, das schon um seiner Unwahrscheinlichkeit willen, gleichwohl ersehnt, unmittelbar in den Verdacht gerät, nur als geglaubtes wirklich sein zu können, sich eigenständig und unverfügbar präsentiert. Der Zweifel, nicht die Überwältigung und Beglückung, der in den Erzählungen zentral thematisiert ist, übernimmt die Funktion, den Ernst der Angelegenheit existenziell zu testen.